Tic / Tourette-Syndrom

Grundsätzlich kann man 2 verschiedene Tic-Formen unterscheiden:

  • Motorischer einfacher Tic
  • Vokaler Tic

wobei der vokale Tic eben nur eine besondere Art des  motorischen Tics der Stimm-,  Sprech- und Atmungsorgane darstellt. Diese 2 Tics unterscheiden sich  wiederum in  „einfach“ oder „komplexe“ Tics.

Motorischer Tic

Einfache motorische Tics sind unwillkürliche, abrupt einsetzende, nicht zweckgebundene Bewegungen. Ihre Art, Intensität und Häufigkeit kann über die Zeit variieren. Die Bewegungen laufen oft wiederholt in gleicher Weise ab, sind aber nicht rhythmisch, sie können einzeln oder in Serie auftreten. Am häufigsten sind sie im Bereich des Kopfes lokalisiert (Augenzwinkern, Blinzeln, Grimassieren, Kopfschütteln, Nicken…).

Bei schwererer Ausprägung können komplexe (kombinierte) motorische Tics auftreten, bei denen mehrere Muskelgruppen beteiligt sind oder bei denen ganze Bewegungen ausgeführt werden, wie beispielsweise Hüpfen, Springen, Stampfen und Kreisen  aber auch Beißen, Schlagen oder Kratzen.

Vokaler Tic

Einfache vokale (phonetische) Tics stellen sich durch das unwillkürliche Äußern von Lauten und Geräuschen dar, wie beispielsweise Räuspern, Schniefen, Hüsteln, Bellen ausgeprägten Atemgeräuschen etc.
Besondere Ausprägungen der komplexen vokalen Tics sind die Koprolalie (= krankhafte Neigung zum Aussprechen unanständiger, obszöner Wörter), die Echolalie (= ständiges Wiederholen von Sätzen und Wörtern von Gesprächspartnern) sowie die Palilalie (= krankhafter Zwang, eigene Sätze und Wörter wiederholt zu sprechen). Dabei steigt die Sprechgeschwindigkeit, während die Lautstärke sinkt. Darüber hinaus kommt es zum Schreien, Summen oder Pfeifen.

Symptomatik

Die Ausprägung der Symptomatik ist ohne erkennbaren Grund über Tage, Wochen, Monate, Jahre schwankend. Daneben kann sie situationsabhängig variieren. Tics können sowohl mehrmals täglich in Serien auftreten als auch in einigen Fällen sogar über Wochen und Monate verschwinden, um dann ganz unvermutet wieder zum Vorschein zu kommen. Hinsichtlich Anzahl, Häufigkeit, Art und Lokalisation der Tics werden immer wieder periodische Wechsel beschrieben. Das trifft ebenso auf ein ständiges Zu- und Abnehmen des Schweregrades zu.
Belastende oder aufregende Situationen können u. U. die Tics in Frequenz und Ausprägung verstärken. In Phasen der Entspannung – z.B. zuhause, am Abend – können Tics bei manchen Kindern und Jugendlichen gehäuft auftreten.
Dem Großteil der Patienten ist es möglich, die Tics zumindest zeitweilig willentlich zu unterdrücken.
Kinder mit Tic-Störungen zeigen häufig Verhaltensauffälligkeiten, die sich auf die Bereiche gesteigerte Impulsivität, Hyperaktivität und Ablenkbarkeit beziehen. Eine geringe Frustrationstoleranz sowie Zwänge, Ängste und depressive Episoden treten ebenfalls gehäuft bei Tic-Störungen auf und erfordern eine gesonderte Abklärung. Auch kommen Lernprobleme bei chronischen Tic-Störungen gehäuft vor.

Therapie des einfachen Tics

Medikamentöse Therapie

Eine medikamentöse Behandlung kann die Tics nur selten vollständig unterdrücken. Ein realistisches Therapieziel ist eine Tic-Reduktion um ca. 50%. Da sich Tics oft spontan zurückbilden, sollte man erst dann darüber nachdenken, wenn der Tic in gleicher Form und an gleicher Stelle mehr als 6 Monate anhält und das Kind in seiner psycho-sozialen Entwicklung beeinträchtigt. Oft werden diese Kinder stigmatisiert, geärgert oder gemobbt oder einfach gemieden.

Innerhalb der atypischen Antipsychotika wird Risperidon zur Behandlung von Tic-Störungen eingesetzt. Weil es nicht selten zu unerwünschten Nebenwirkungen (Müdigkeit, Gewichtszunahme) kommt, werden oft die Benzamide Tiaprid und Sulpirid eingesetzt.

Nicht-medikamentöse Therapieformen

Nicht-medikamentöse Maßnahmen sind vor allem als Ergänzung zur Krankheitsbewältigung zu sehen, auch wenn Verhaltenstherapie – vor allem bei Jugendlichen/Erwachsenen – in einzelnen Fällen die Tics deutlich reduzieren kann.

Psychotherapie

Besonders bewährt hat sich bei den psychotherapeutischen Methoden eine Verhaltenstherapie mittels „Habit Reversal Training“ (HRT) oder „Exposure and Response Prevention Training“ (ERPT). Hierdurch kann es zu einer Tic-Reduktion von 30 Prozent kommen. Allerdings muss bei diesen Maßnahmen das Lebensalter der erkrankten Kinder berücksichtigt werden. Denn die meisten jüngeren Kinder (d.h. unter 10 Jahren) sind noch nicht in der Lage die dem jeweiligen Tic vorausgehenden Sensationen zu erkennen und mit einer „Tic-Gegenantwort“ zu reagieren.
Das HRT-Verfahren dient dazu, die Wahrnehmung dem jeweiligen Tic vorausgehender Sensationen zu verbessern und eine motorische Gegenantwort auf erste mögliche Tic-Anzeichen (Muskelspannung, Kribbeln) zu entwickeln, d.h. eine dem Tic entgegen gerichtete Bewegung auszuführen, die im Alltag unauffällig ist. Das ERPT-Verfahren zielt darauf ab, den Automatismus zu durchbrechen, dass einem Vorgefühl auch immer ein Tic folgen muss.

Entspannungstechniken

Reine Entspannungstechniken wie autogenes Training oder die progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen führen nur sehr selten zu einer wirklichen Verbesserung der Tic-Störungen. Sie sind aber sinnvoll, wenn Kinder oder Jugendliche aufgrund der Schwere der Tics über einen längeren Zeitraum nicht zur Ruhe kommen.

Ein besonders schwere Form: Das (Gilles-de-la-) Tourette-Syndrom

Das Tourette-Syndrom ist eine Form der Tic-Störungen, bei der es unterschiedliche  motorische Tics und einen oder mehrere vokale Tics gibt oder gegeben hat, wobei diese nicht immer  gleichzeitig aufgetreten sein müssen. Hierunter fallen auch Tic-Störungen, die mehrmals täglich, ohne Rückbildung über die Dauer von mindestens 12 Monaten auftreten und sich vor dem 18. Lebensjahr entwickelt haben.
V.a. typisch sind die einfachen und komplexen vokalen mit explosiven sich wiederholenden Lautäußerungen, wie Räuspern, Grunzen und dem Gebrauch von obszönen Wörtern oder Phrasen.
Das Tourette-Syndrom geht beim Großteil der Betroffenen mit weiteren Störungen (Komorbidität) einher, wie z.B. ADHS, Zwangsstörungen, Affektiven Störungen oder Angststörungen. Nur etwa 10 bis 20 Prozent der Kinder mit Tourette-Syndrom weisen keine weitere andere Störung auf.
Kinder mit Tourette-Syndrom neigen zu aggressivem Verhalten mit plötzlichen Wutausbrüchen, ältere Jugendliche zeigen überdurchschnittlich häufig Selbstverletzendes Verhalten.
Die Betroffenen leiden meist sehr unter den nicht oder nur bedingt kontrollierbaren Symptomen. Häufig werden die Kinder und Jugendlichen aufgrund der ungewöhnlichen Symptome von anderen gemieden und ausgegrenzt. Erwachsene empfinden – zumeist aufgrund mangelnder Kenntnis des Störungsbildes – den jungen Patienten als Störenfried und stempeln ihn als schlecht erzogen ab. Sie entwickeln manchmal ein geringes Selbstwertgefühl und neigen zu Depressionen und Angstsymptomen.

Genetik

Ausschlaggebende Genabweichungen sind noch nicht gefunden worden. Man geht davon aus, dass eine Vielzahl von Abweichungen beteiligt ist und deshalb bislang (Stand Dezember 2015) über die Erblichkeit im konkreten Einzelfall keine Aussagen möglich sind.

Verlauf

Viele der in der Kindheit vom Tourette-Syndrom Betroffenen erfahren im Laufe bzw. nach Abschluss der Pubertät ein Abklingen der Symptome, andere zeigen auch als Erwachsene das Vollbild des Tourette-Syndroms.

Therapie

Therapiemöglichkeiten bestehen durch

  • Verhaltenstherapie
  • Medikamente

Schule

Kindern mit komplexen Tic-Störungen  muss in der Schule ggf. ein Nachteilsausgleich gewährt werden gemäß Schwerbehindertengesetz.  In begründeten Einzelfällen kann auch eine Eingliederungshilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz VIII SGB be§35 beantragt werden.