Mit Enuresis wird das erneute Einnässen bei Kindern bezeichnet, die bereits gelernt hatten, die Blase kontrolliert zu entleeren.
Ursachen
Im 3. bis 6. Lebensjahr entwickelt sich eine stabile Blasenkontrolle – zunächst tagsüber, später auch nachts. Mit sieben Jahren nässen nachts noch 10 %, tagsüber 2 bis 9 % der Kinder ein. Von den Betroffenen nimmt lediglich etwa ein Drittel die Hilfe des Gesundheitswesens in Anspruch – ein deutlicher Hinweis auf eine innerfamiliär höchst unterschiedliche Bewertung der Symptomatik
Bis zum Ende des vierten Lebensjahres lernen normal entwickelte Kinder in der Regel, das Wasserlassen (= Miktion) zu beherrschen. Bei einer primären Enuresis ist dies jedoch nicht der Fall. Es kann sein, dass das Nervensystem (Sympathikus/Parasympathikus-System), das die Funktion der Blase kontrolliert und dadurch Informationen über den Füllungszustand an das Gehirn weiterleitet, noch nicht vollständig entwickelt ist. Auf diese Weise kommt es bei rund jedem 10. Kind älter als vier Jahre zum wiederholten Einnässen, da es den Druck auf der Blase oft nicht rechtzeitig wahrnimmt. Aber auch psychischer Stress kann dazu führen, dass das bereits „trockene“ Kind seine Blase nicht unter Kontrolle hat. Dies wird als sekundäre Enuresis bezeichnet.
Symptome
Nässt das Kind vor allem nachts ins Bett ein, spricht man von einer Enuresis nocturna. Geschieht es jedoch größtenteils tagsüber, so ist von einer Enuresis diurna die Rede. Wenn beides der Fall ist, fasst der Fachmann dies als Enuresis diurna et nocturna zusammen. Zusätzlich können die Eltern oft auch eine passive Einstellung des Kindes beim Ansprechen auf das Thema beobachten.
Diagnose
Bei der körperlichen Untersuchung liegt der Fokus auf Hinweisen für eine organische Ursache des Einnässens. Dies können Funktionsstörungen des Rückenmarks oder des Nieren-Blasensystems selbst sein. Es empfiehlt sich deshalb eine kinderurologische Untersuchung, um solche organischen Ursachen auszuschließen. Ein Protokoll über Inkontinenzereignisse (Harn-/Stuhlinkontinenz) sollte über zwei Wochen geführt werden. Zum Ausschluss eines Harnwegsinfektes ist die Urinuntersuchung erforderlich.
Mit der Sonographie (Ultraschalluntersuchung) sucht man Auffälligkeiten von Nieren (weites Nierenhohlsystem, Doppelbildung der Niere, Verkleinerung der Niere), Blase und Enddarm. Zu große verbleibende Restharnmengen nach erfolgtem Wasserlassen und bedeutsame Blasenwandverdickungen sind Hinweise für Blasenentleerungsstörungen.
Analysiert werden weiterhin Harndrang, Haltemanöver, Inkontinenzereignisse und Miktionsverhalten anhand mehrerer Miktionen (= Blasenentleerungen). Die Beobachtung kann mit Restharnbestimmungen und Uroflowmetrien (= Messung des Blasenentleerungsmusters) kombiniert werden.
In aller Regel sind diese „organischen“ Ursachen jedoch eher die Ausnahme. Vielmehr liegt eine Reifungsstörung des Blasenentleerungszentrums im Gehirn vor, die übrigens oft vererbt wird, also genetisch bedingt ist. Getriggert wird dann das Einnässen oft durch psych. Druck oder mangelnde Körperwahrnehmung z.B. im Rahmen eines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms.
Therapie
Das Kind soll wieder die Blasenkontrolle beherrschen. Dies kann es im Rahmen einer Verhaltenstherapie oder eines Blasentrainings lernen. Helfen diese Methoden nicht weiter, kann man zu einer medikamentösen Therapie übergehen.
Trink- und Miktionsplan
Modifizierungen des Trink- und Miktionsverhaltens sind das Basiselement der Behandlung. Die Toilette sollte bei Harndrang aufgesucht werden, ebenso morgens und abends sowie vor längeren Ausfahrten. Bei nächtlichem Einnässen ist eine Reduktion der abendlichen Flüssigkeitszufuhr sinnvoll (letzte Portion 2 Stunden vor dem Zubettgehen). Bewährt hat sich die „7-Becher-Regel“. Sie meint die Zufuhr von altersgerechten Flüssigkeitsmengen in 7 Portionen über den Tag verteilt.
Toilettentraining
Bei Harninkontinenz infolge Miktionsaufschubs muss das Kind regelmäßig zur Toilette gehen. Eine Eigenverantwortlichkeit kann erzielt werden, wenn die Erinnerungszeiten (alle 2 bis 4 Stunden) auf einer Digitaluhr oder dem Handy programmiert werden und das Kind selbstständig die Toilette aufsucht. Miktionspläne und -kalender wirken positiv verstärkend.
Alarmtherapie/Klingelhose
Die AVT mit Alarmsystemen/Weckapparaten ist das Mittel der ersten Wahl. Vor Therapiebeginn ist zu klären, ob die therapiebedingten Belastungen in den Familienalltag integriert werden können: Die ausführliche Erläuterung der Therapiemethode mit der Notwendigkeit, das Kind vollständig zu erwecken, ist für den Behandlungserfolg essenziell. Bis ein Erfolg sichtbar wird, sind in der Regel 30 bis 50 Therapienächte erforderlich. Die Ansprechraten liegen bei 50 bis 70%, die langfristigen Erfolgsraten nach Absetzen der Therapie bei 40 bis 50%.
Medikamente
Bei hohem nächtlichem Urinvolumen ist eine orale Hormontherapie mit dem ADH-Analogon Desmopressin Erfolg versprechend. Bei 70 % der Kinder kann man die nassen Nächte reduzieren; 25% werden komplett trocken. Nach Absetzen erleiden die meisten Kinder einen Rückfall. Strukturiertes Ausschleichen erhöht den Therapieerfolg und reduziert die Rückfallrate. Durch seinen raschen Wirkungseintritt eignet sich Desmopressin als Bedarfsmedikation, um kritische Situationen (Urlaubsreise, Klassenfahrt) zu überbrücken. Schwere Nebenwirkungen sind selten.
Zur Wirksamkeit der alternativen Verfahren wie Akupunktur, Hypnose oder Chirotherapie gibt es nur wenige Daten; die publizierten Studien sind rar, basieren auf kleinen Fallzahlen und sind methodisch häufig fragwürdig.
Entbehrliche Therapiemaßnahmen
Immer noch häufig praktizierte Maßnahmen wie Flüssigkeitseinschränkung tagsüber, nächtliches Wecken oder Strafen sind nicht effektiv und sollten nicht angewandt werden.