Multiple Sklerose (Enzephalomyelitis disseminata, MS, ED)

Die Multiple Sklerose ist eine chron. entzündliche Erkrankung des Gehirns und/oder Rückenmarks (zentrales Nervensystem, ZNS) und trifft vor allem junge Erwachsene. Es ist die eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, jährlich erkranken ca. 4/100.000 Menschen in Deutschland.

Welche Ursachen hat Multiple Sklerose?

Als Ursache dieser Erkrankung wird eine Autoimmunreaktion angenommen: Entzündungs- und Abwehrzellen des Körpers greifen fälschlicherweise körpereigene Strukturen an. Dies führt zu einem Abbau der Hüllschicht von Nervenfasern (Myelinscheiden) und zu einer Schädigung der Nervenfaser selbst. In den betroffenen Fasern werden Nervenimpulse schlechter weitergeleitet.

Wie Multiple Sklerose genau entsteht, ist bis heute nicht vollständig verstanden. Vieles spricht für eine Kombination aus begünstigenden Erbanlagen sowie Umwelteinflüssen, die zu einer Fehlreaktion des körpereigenen Abwehr- oder Immunsystems führt. Möglicherweise müssen mehrere Faktoren gleichzeitig vorliegen, damit die Erkrankung auftritt.

Ist Multiple Sklerose vererbbar?

Es gibt Hinweise, dass erbliche Faktoren die Entstehung einer MS begünstigen. Ganz sicher ist MS aber keine „klassische Erbkrankheit“, die von den Eltern auf das Kind weitergegeben wird. Das relative Risiko an Multipler Sklerose zu erkranken, ist bei Kindern eines MS-erkrankten Elternteils – im Vergleich zur regionalen Bevölkerung – nur geringfügig erhöht.

Multiple Sklerose und Umweltfaktoren

Sicher ist:

  • daß es Gebiete mit hohem MS-Risiko in Gebiete mit niedrigem MS-Risiko gibt. So ist das Erkrankungsrisiko auf Erdnordhalbkugel größer an einer MS zu erkranken.
  • daß MS keinesfalls eine ansteckende Erkrankung ist
  • daß Frauen häufiger als Männer erkranken

derzeit diskutiert wird:

  • ob der Vitamin-D-Stoffwechselkönnte (im Kindesalter?) eine Rolle spielt
  • durchgemachte Virusinfektionen im Kindesalter das Erkrankungsrisiko verändern

Symptome und Verlauf

Die Multiple Sklerose kann eine sehr unterschiedliche neurologische Symptomatik verursachen, je nachdem, an welcher Stelle ein Entzündungsherd im zentralen Nervensystem entsteht. Mögliche Anzeichen sind zum Beispiel Empfindungsstörungen, Sehstörungen, Blasenstörung , Schwindel oder Lähmungen. Auch die Verlaufsformen variieren, so spricht man von einer „schubförmig-progredienten“ Form, wenn einzelne abgesetzte Schübe vorhanden sind, deren Symptomatik oft nach einigen Tagen sich spontan bessert, die aber eine Reststörung hinterlassen und von einer „chronisch-progredienten“ Form, wenn die Symptome sich kontinuierlich langsam verschlechtern ohne dass Schübe zu erkennen sind. Es gibt auch eine „schubförmig- remittierende“ Form, bei der sich die Ausfallserscheinungen des Schubes vollständig wieder zurückbilden.

Diagnose

Um die Diagnose Multiple Sklerose zu sichern, muss der Arzt Symptome, Verlauf und Untersuchungsergebnisse gemeinsam betrachten. Wenn der Neurologe aufgrund der Symptome, der Krankheitsvorgeschichte (Anamnese) und seiner körperlichen Untersuchung den Verdacht auf eine Multiple Sklerose hat, hat er noch folgende Möglichkeiten die Verdachtsdiagnose zu überprüfen bzw. zu sichern:

Auf den Hirnaufnahmen (MRT) sind bei 85 Prozent der Patienten mit Multipler Sklerose bereits im Frühstadium Veränderungen feststellbar, die auf Entzündungsherde schließen lassen. Im fortgeschrittenen Stadien ist das bei fast allen Patienten der Fall.

McDonald-Kriterien: Wann steht die Diagnose fest?

Für die Diagnose nutzen Ärzte die sogenannten McDonald-Kriterien (aktuelle Fassung 2010):
Die Diagnose Multiple Sklerose gilt demnach als gesichert, wenn die ärztliche Untersuchung eine räumliche und zeitliche Verteilung der Krankheitszeichen und Symptome ergibt. Dies kann erfüllt sein, wenn sich ein zweiter Erkrankungsschub im Abstand von mindestens einem Monat ereignet und / oder sich in einer Kontroll-MRT-Untersuchung des Gehirns im Vergleich zur Voraufnahme ein oder mehr neue sogenannte Herde zeigen.

MS Therapie – derzeitiger Stand und Behandlung/Kontrollen

McDonald-Kriterien von 2001 und ihre Revision von 2005 und 2010

2001 schlug ein internationales Expertengremium neue Kriterien zur Diagnose der MS vor, die neben klinischen die Bedeutung bildgebender Befunde (MRT) betont (McDonald-Kriterien). Es erfolgte 2005 und 2010 eine Überarbeitung. Diese revidierten McDonald-Kriterien zeichnen sich insgesamt durch eine erleichterte Diagnosestellung der MS aus. Wichtig ist die Feststellung, dass die Diagnose einer MS nicht gestellt werden darf, wenn die erhobenen pathologischen Befunde von einer anderen Erkrankung besser erklärt werden können. 2010 erfuhren die McDonald-Kriterien eine erneute Überarbeitung:

Schubförmige Multiple Sklerose

Schübe Objektivierbare klinische Manifestationen Weitere erforderliche Kriterien
2 oder mehr 2 oder mehr keine; klinische „Evidenz“ ausreichend (zusätzliche „Evidenz“ wünschenswert, muss dann mit MS vereinbar sein)
2 oder mehr 1
  • räumliche Dissemination im MRT (Definition siehe unten)
    oder
    weiterer klinischer Schub
    oder
  • positiver Liquorbefund und 2 oder mehr MS-typische Läsionen im MRT
1 2 oder mehr
  • zeitliche Dissemination im MRT (Definition siehe unten)
    oder
  • zweiter klinischer Schub
1 1
  • Räumliche Dissemination im MRT (s.u.)
    oder
  • 2 oder mehr MS-typische Läsionen im MRT mit positivem Liquorbefund und zeitliche Dissemination im MRT (s.u.)
    oder
  • zweiter klinischer Schub
Zeiltiche Dissemination:

a) Gleichzeitiger Nachweis asymptomatischer gadoliniumanreichernder Läsionen und nicht anreichernden Läsionen zu einem beliebigen Zeitpunkt
oder
b) Feststellung einer neuen (oder gadoliniumanreichernden) T2-Läsion zu irgendeiner Zeit verglichen mit einer Referenzaufnahme
oder
c) erneuter klinischer Schub

Anmerkung: Gadolinium = Kontrastmittel im MRT

Räumliche Dissemination:

Nachweis von =1 T2 Läsion in 2 von 4 folgenden Regionen

1. Infratentoriell (den Hirnstamm und das Kleinhirn betreffende)
2. Juxtakortikal (im Großhirn)
3. Periventrikulär (neben den Liquorkammern = Ventrikel) im Großhirn
4. Spinal (Rückenmark)

(Swanton-Kriterien)
Bei einer spinalen oder Hirnstammsymptomatik werden die symptomatischen Läsionen nicht mitgerechnet!

Chronisch progrediente Multiple Sklerose

Neurologische Progression, die auf eine MS hinweist
  • Ein Jahr Krankheitsprogression (retrospektiv oder prospektiv festgestellt) und
  • Zwei von drei der folgenden Kriterien:
    • Nachweis einer räumlichen Dissemination im Gehrin anhand von =1 T2 Läsionen in MS-typischen Regionen infratentoriell, juxtakortikal,periventrikulär)
    • Nachweis einer räumlichen Dissemination des Rückenmarks (=2 T2-Läsionen)
    • Positiver Liquorbefund

Therapie

In der MS-Forschung kam es abgesehen von der Therapie im akuten Schub, die unverändert in der Gabe von hochdosiert Cortison i.v. besteht, in den letzten Jahren zu den größten Fortschritten in der neurologischen Therapie Und es ist noch einiges zu erwarten. Es geht also um die Möglichkeit, die Schubrate und Schubintensität vorbeugend zu reduzieren – also um eine Art „Prophylaxe“. Auf der Tatsache beruhend, dass es sich um eine Fehlsteuerung des Immunsystems, also um eine autoimmune chronisch entzündliche Erkrankung handelt, beruht die Wirkung all dieser Medikamente auf einer das Immunsystem positiv (bezügl. MS) beeinflussenden Wirkungsweise – es handelt sich deshalb um so genannte „Immunmodulatorisch“ wirkende Medikamente.

Therapieziel und Management bei schubförmig remittierender MS (RRMS)

  • Generell frühzeitig und Ziel à
  • (NEDA = no evidence of disease Activity) d.h. keine Läsionen im MRT+kein Schub über mind 1 Jahr + keine Progression + Atrophie ? = NEDA -4 → MEDA = Mininmal evidence of d acitivity)
  • Kontrolle unter Therapie alles 3 Monate/1 Jahr, dann alle 6 Monate
  • EDSS-score + andere neuropsych. Tests ( Fatigue, Kognition …)
  • MRT anfangs 3/6 Mo, dann alle 6/12 Mo craniell und ggf spinal à keine KM aufnehmenden Herde

Milde/moderate Verlaufsform → Basistherapie

  • IFN-ß (beta-interferon)
  • Dimethylfumarat (DMF)
  • Glatimeracetat
  • Terflunomid
  • Azathioprin

Der Arzt spricht von einer „Hochaktiven Verlaufsform“ wenn folgende Merkmale zu beobachten sind:

nach erfolgter Diagnosestellung nach Mc Donald (s.o.) zusätzlich:

  • 2 funktionell relevante Schübe innerhalb eines Jahre oder
  • Erstmanifestation mit behinderndem Schub und deutlicher läsionaler Aktivität im MRT oder
  • Unter Therapie (> 6 Monate) Auftreten eines klin. Schubes + MRT Befund
  • Starke Zunahme der MRT – Aktivität

Dafür stehen folgende Medikament als sogenannte „Eskalationstherapie“ zur Verfügung. Es handelt sich um:

  • Alemtuzumab = gentechnologisch hergestellter monoklonaler IgG1?-Antikörper,
  • Fingolimod = von einem Pilz gebildetes Immunsuppressivum, das das Austreten der Lymphozyten, die bei den Entzündungen eine Rolle spielen, aus den Lymphknoten verhindert
  • Natalizumab = gentechnologisch hergestellter monoklonaler Antikörper,
  • Mitoxantron = Zytostatikum, das die Bildung der B- und T-Lymphozyten hemmt

Wie Sie leicht sehen, gibt es mittlerweile ein Vielzahl unterschiedlicher Medikamente, deren Einsatz nur vom Facharzt mit spezieller Erfahrung für MS festgelegt werden kann.